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Der Atlas der Wirtschaftskomplexität

von Gregor Aisch und Marian Steinbach. Lesezeit: etwa 4 Minuten.

Heute hat die Harvard-Universtität eine Studie mit dem Titel The Atlas of Economic Complexity veröffentlicht. Im Rahmen der Arbeit wurde ein neuer Vergleichsindex für die Wirtschaftskomplexität eines Landes entwickelt. Ein (überraschendes) Ergebnis der Studie ist sicherlich, dass Japan, Deutschland und die Schweiz die ersten drei Plätze im Ranking einnehmen, während die USA “nur” Platz 13 belegt (hinter Tschechien und Slowenien).

Prof. Ricardo Hausmann, Leiter des herausgebenden Instituts Center for International Development an der Havard-Universität, erklärt worum es dabei geht:

“Wir haben uns zunächst angeguckt, wieviele verschiedene Produkte in Ländern hergestellt werden und wie komplex diese Produkte sind. Daraufhin haben wir uns angesehen, welche Aufschlüsse uns das darüber gibt, welche Länder reich und arm sind, in welchen Ländern wir Wirtschaftswachstum erwarten und welche Ländern vorraussichtlich Probleme beim Wachstum haben werden”

Das Auffälligste an der Studie ist dabei der intensive und ansprechende Einsatz von Datenvisualisierungen, was auch der Grund dafür ist, dass wir uns hier damit beschäftigen.

Die Visualisierungen

Schon beim ersten Durchblättern wird klar, dass die Autoren keine Scheu vor komplexen Visualisierungen hatten – was angesichts des Kernthemas Komplexität eigentlich auch nicht weiter verwundern dürfte. So findet man neben den üblichen Tabellen, Weltkarten und Scatter-Plots etwa auch diesen gewaltigen Slopegraph, der die Entwicklung der Länder-Rankings über die letzten 45 Jahre darstellt:

 

Der Großteil der Studie wird durch doppelseitige Länderberichte eingenommen, in denen detaillierte Ergebnisse pro Land visualisiert und präsentiert werden. Die folgende Abbildung zeigt den Länderbericht für Argentinien.

 

Produktgraph: Was exportiert wird, und was nicht

Zum Anfang der Länderberichte wird jeweils der “Produktraum” des Landes dargestellt. Dabei handelt es sich um das Netzwerk aus zueinander gehörenden Produkten. Die Zusammengehörigkeit wurde dabei aus Korrelationen in den Exportstatistiken berechnet. So können beispielsweise erst dann Früchte exportiert werden, wenn es auch die entsprechende Kühltechnik gibt. Die Struktur des Produktgraphen ist dabei für alle Länder identisch, was sich von Fall zu Fall ändert sind die tatsächlich exportierten Produkte.

Die schwarz umrandeten Rechtecke repräsentieren dabei die exportierten Produkte, wohingegen die Kreise für Produkte stehen, die nicht oder kaum exportiert werden. Die folgende Darstellung zeigt exemplarisch den Produktgraph für Deutschland. Der Hochtechnologie- und Chemiesektor ist im Fall von Deutschland besonders stark unter den Exporten vertreten, während es gleichzeitig kaum Exporte im Textil- (grün) und Nahrungsbereich (gelb) gibt.

Product Space von Deutschland

Zum Vergleich sei hier der Produktgraph von Griechenland gegenübergestellt. Im Hochtechnologie- (hellblau) und Chemiesektor (violett) exportiert Griechenland kaum Produkte, z.B. keine Autos oder Autoteile. Dafür ist der Textil- (grün) und Nahrungssektor (gelb) viel stärker vertreten, was etwa an klimabegünstigten Exporten von Produkten wie Wein und Olivenöl liegt.

Product Space von Griechenland

Die Produktgraphen können übrigens auch in der begleitenden interaktiven Visualisierung untersucht werden, was praktisch ist, um sich die einzelnen Produkte genauer anzusehen.

 

Exportmengen im historischen Vergleich

Um Struktur der Exportgüter darzustellen, werden zu jedem Land die Exportmengen pro Produkt in einer Treemap abgebildet. Im folgenden Beispiel von Deutschland sieht man etwa auf einen Blick, dass der Technologiesektor (blau) den größten Teil der Exporte darstellt.

Zusätzlich zu den aktuellsten Daten (2008) werden auch die Exporte der Jahre 1968 und 1988 als eigene Treemap dargestellt. Abgerundet wird der historische Rückblick durch ein Stacked-Area-Diagramm:

 

Spektrum der Ausbaumöglichkeiten im Exportsektor

Als besonders Schmankerl’ für die Freunde der Datenvisualisierung stellen 4-dimensionale Scatterplots das Spektrum der Exportmöglichkeiten dar. Die einzelnen Tortendiagramme zeigen an, wieviel Ausbaumöglichkeiten die einzelnen Sektoren noch haben (gefüllter Teil der Tortendiagramme) und wie komplex die noch fehlenden Produkte im Durchschnitt sind (vertikale Achse). Die grau gestrichelte Linie repräsentiert dabei die gesamte Wirtschaftskomplexität des Landes.

Interessant ist auch die horizontalen Achse im rechten Diagramm, welche anzeigt, wie stark ein Land davon profitieren würde, in diesem Sektor zu investieren. So zeigt etwa die folgende Grafik zu Griechenland, dass vor allem der Technologie- und Chemiesektor kaum ausgebaut sind, Griechenland insgesamt aber sehr von einem Ausbau profitieren würde.

Fazit

Zu der Studie selbst und den verwendeten Methoden können wir an dieser Stelle verständlicherweise kein Urteil abgeben. Das wird die Berichterstattung in den nächsten Tagen und Wochen zeigen.

Die Visualisierungen sind alle samt aber sehr beeindruckend und stellen sicherlich eine Ausnahme unter den üblichen Länderstudien dar, in man in der Regel mit endlosen Balken- und Tortendiagrammen gelangweilt sind. Das man alle Visualisierungen in der begleitenden interaktiven Anwendung noch einmal “nachlesen”, inspizieren und als Vektorgrafiken exportieren kann, stellt einen besonderen Mehrwert dar und gleicht den Nachteil aus, das in der Printversion viele Details nicht beschriftet werden konnten.

Dennoch ist mit unter fraglich, ob an der ein oder anderen Stelle nicht auch etwas weniger Daten hätten angezeigt werden können. Noah Iliinsky hat dazu in seinem jüngst erschienenen Buch “Designing Data Visualization” geschrieben:

It is tempting to show as much data as possible. We have access to a lot of data, and it’s easy to be seduced into including more data because it would be cool, or because it’s more impressive that way, or simply because we can.

So hätte man sich etwa in den historischen Treemaps auf die Kategorien beschränken können, anstatt alle Produkte anzuzeigen. Aufgrund Platzmangels wurden die Produktnamen weggelassen, so dass man anhand der Zahlencodes entschlüsseln muss, welches Produkt repräsentiert wird.